Zu den Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung aufgrund längerer Erkrankung durch einmaligen Schicksalsschlag

Landesarbeitsgericht Köln , Urteil vom 31.03.2011 – 6 Sa 1433/10

Beruht die längere Erkrankung eines Arbeitnehmers auf einem einmaligen Schicksalsschlag (hier: Schlaganfall), so erhöhen sich regelmäßig die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 07.09.2010 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 13 Ca 2870/10 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des seit dem 01.04.2008 bestehenden Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2010. Von einer erneuten Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

2

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 07.09.2010 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung weder als personenbedingte noch als verhaltensbedingte sozial gerechtfertigt sei. Die Beklagte könne die Kündigung nicht auf eine langfristige Erkrankung des Klägers mit einer ungewissen Zukunftsprognose stützen. Es sei auch nicht interessengerecht, den Kläger noch während seiner unverschuldeten Erkrankung nach einem Schlaganfall Anfang Dezember 2009 zu entlassen. Schließlich könne auch die unterlassene Mitwirkung des Klägers bei der Anfrage nach seinem Gesundheitszustand die Kündigung nicht rechtfertigen, zumal eine vorherige Abmahnung nicht erfolgt sei.

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Mit ihrer Berufung macht die Beklagte unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, ein schnelles Handeln sei mit Rücksicht auf die Leitungsfunktion des Klägers geboten gewesen. Da nach den gesetzlichen Bestimmungen die Vertretungsbefugnis des Apothekers H Ende Februar 2010 abgelaufen sei, habe sie einen Leiter der Krankenhausapotheke bestellen und bei der Behörde beantragen müssen, diesem die Erlaubnis zur Führung der Krankenhausapotheke zu erteilen. Als Folge des schweren Schlaganfalls sei von einer dauernden Leistungsunfähigkeit des Klägers auszugehen. Auch betriebsbedingte Gründe seien gegeben, weil wegen der gesetzlichen Vorgaben die Leitung der Krankenhausapotheke neu zu besetzen gewesen sei, nachdem die beiden anderen im Hause beschäftigten Apotheker zur Übernahme der Leitung nicht bereit gewesen seien.

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Die Beklagte beantragt,

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unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 07.09.2010 – 13 Ca 2870/10 – die Klage insgesamt abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil aus Rechtsgründen und behauptet unter Hinweis auf ein Attest vom 16.03.2011 (Kopie Bl. 161 d. A.), er sei wieder uneingeschränkt arbeitsfähig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

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II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

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Das Arbeitsgericht ist mit zutreffender Begründung, der das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitbefangene ordentliche Kündigung vom 23.03.2010 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.06.2010 beendet hat, weil sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung greifen nicht durch. Ergänzend ist dazu folgendes festzustellen:

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Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung von krankheitsbedingten Kündigungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in drei Stufen vorzunehmen. Bei langanhaltender Krankheit ist die Kündigung sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – 1. Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – 2. Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – 3. Stufe -. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (vgl. zuletzt BAG 30.09.2010 – 2 AZR 88/09 -, juris, mit weiteren Nachweisen).

14

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Kündigung ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Da Kündigungsgrund nur ein Umstand sein kann, der objektiv geeignet ist, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, kommt es auf die Kenntnis der Partei über den Verlauf der Krankheit nicht an. Deshalb führt auch die Verletzung der nebenvertraglichen Erkundigungsobliegenheit des Arbeitgebers oder der Erklärungspflicht des Arbeitnehmers nicht zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (vgl. BAG 25.11.1982 – 2 AZR 140/81 -, juris m.w.N.).

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Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten davon ausgeht, dass hier zum Zeitpunkt der Kündigung am 23.03.2010 die Voraussetzungen der ersten und zweiten Stufe vorlagen, also eine negative Prognose hinsichtlich der weiteren Dauer der Arbeitsunfähigkeit und eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gegeben waren, so führt jedenfalls die abschließende Interessenabwägung im Rahmen der dritten Stufe zur Unwirksamkeit der Kündigung. Denn nicht jede Betriebsbeeinträchtigung, die sich aus der Ungewissheit über die Dauer der lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergibt, ist geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Bei Anlegung eines objektiven Beurteilungsmaßstabs müssen die Kündigungsgründe nämlich von solchem Gewicht sein, dass sie einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen würden. Im Fall einer Krankheit, die den Arbeitnehmer unverschuldet trifft, kündigt ein verständiger Arbeitgeber nicht schon bei ersten Betriebsbeeinträchtigungen, sondern er berücksichtigt den Schicksalsschlag des Arbeitnehmers, in dem er zuwartet, bis die betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen unzumutbar geworden sind (vgl. BAG vom 25.11.1982 – 2 AZR 140/81 -, juris m.w.N.).

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Eine solche Unzumutbarkeit des Festhaltens an dem durch die längere Arbeitsunfähigkeit des Klägers belasteten Arbeitsverhältnis war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 23.03.2010 noch nicht eingetreten. Auf die Regelung in § 2 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung, wonach eine Vertretung des leitenden Apothekers grundsätzlich nur für einen Zeitraum von bis zu 3 Monaten zulässig ist, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Denn nach § 2 Abs. 5 Satz 3 der Vorschrift kann die Behörde eine Vertretung über diese Zeit hinaus zulassen, wenn ein in der Person des Apothekenleiters liegender wichtiger Grund gegeben ist. Auch diese Möglichkeit hätte zunächst ausgeschöpft werden müssen, bevor eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses als ultima ratio in Betracht gekommen wäre.

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Erweist sich die Kündigung damit als Reaktion auf den einmaligen Schicksalsschlag des Klägers als vorschnell und unverhältnismäßig, so bedarf es keiner Prüfung mehr, ob sie etwa durch andere Mittel hätte vermieden werden können. Dahinstehen kann insbesondere auch, ob die Kündigung deshalb unverhältnismäßig ist, weil die Beklagte mangels Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine erweiterte Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten traf, der sie nicht hinreichend nachgekommen ist.

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Soweit sich die Beklagte auf betriebsbedingte Gründe für die Kündigung beruft, ist darauf hinzuweisen, dass dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb der Beklagten entgegenstanden (§ 1 Abs. 2 KSchG), nicht vorlagen. Der Arbeitsplatz des leitenden Apothekers ist unstreitig nicht weggefallen, sondern nach dem Vortrag der Beklagten neu besetzt worden. Die Beeinträchtigung betrieblicher Belange der Beklagten wird bereits im Rahmen der personenbedingten Kündigungsgründe berücksichtigt. Sie rechtfertigt keine Austauschkündigung aus betriebsbedingten Gründen.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

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